Kopien können ganz schön spannend sein, nämlich dann, wenn sie helfen, die Geheimnisse des Originals zu entschlüsseln – so wie ein altes Kirchenfresko im Dörfchen Ponte Capriasca.

Ponte Capriasca im Bezirk Lugano ist wirklich ein hübsches Dörfchen. Trotzdem kommt kaum jemand wegen der heimeligen Wohnhäuser oder der geheimnisvollen Schalensteine hierher. Hauptattraktion ist die Pfarrkirche Sant’Ambrogio, denn in ihrem Inneren birgt sie ein geheimnisvolles Fresko: eine alte Kopie des weltberühmten Mailänder Wandbildes Das Abendmahl von Leonardo da Vinci.

Wer hat das gemalt?

Dieses brachte dem genialen Maestro einst grossen Ruhm ein – und weil damals wie heute Schönes gern mal kopiert wird, bekam auch das Tessin Mitte des 16. Jahrhunderts sein Abendmahl à la da Vinci. Wer es gemalt hat, ist unbekannt: Giampietrino oder Cesare da Sesto, beide italienische Maler der Hochrenaissance und stark von Leonardo beeinflusst – oder ein anderer, unbekannter?

Johannes oder Magdalena?

Jedenfalls hatte Mr. X seinen eigenen Kopf. Nicht die perfekte Kopie schwebte ihm vor. Vielmehr veränderte er den Hintergrund, gestaltete ihn weitaus üppiger. Manche sagen, diese Version des Abendmals sei noch schöner als das Original – zumal sie Details enthält, die bei diesem durch Schäden und häufiges Restaurieren verloren gingen, so die Füsse Jesu. Auch die Farbgebung weicht vom Vorbild ab. Noch etwas kann durch das Abendmahl in Ponte Capriasca geklärt werden: die Frage, ob der zarte Jüngling mit dem langen, wallenden Haar an der Seite des Heilands Johannes ist – oder Maria Magdalena, wie polemisiert wird? Das Tessiner Fresko liefert die Antwort: “S. Iohanes” steht unter der Figur.