Die kleinen Türme erregen Aufsehen

Publiziert: 21 April 2014

"Was sind das für runde Bauten?" Das fragt sich so mancher, der bei Camorino in die Hügel blickt. Es sind Hungertürme. Immer noch nicht klar, um was es genau geht? Wir lüften das Geheimnis...

Ob sich das Märchen von Rapunzel wohl bei Bellinzona zugetragen hat? Rief in Camorino die Zauberin "Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter", damit die schöne Rapunzel ihre Zöpfe losband und die Zauberin zu ihr in den Turm hinaufsteigen konnte? Bis eines Tages der Königssohn hinaufstieg, auf den Turm, und Rapunzel in sein Reich führte, wo sie noch lange glücklich lebten... Aber dann stünden ja nicht gleich fünf Türme in Camorino. Also muss etwas Anderes dahinterstecken: Die "Fortini della fame" – Hungerfestungen oder auch Hungertürme – sind Zeitzeugen, die eng mit der bewegten Geschichte des 19. Jahrhunderts verknüpft sind. Die zylindrischen Bauten sind der verbliebene Rest einer Festungsanlage aus 36 Türmen. Fünf Türme gibt es heute noch. Doch gehen wir einen Schritt zurück, einen Schritt in die Vergangenheit...

Bei der Geschichte hatten die Gebrüder Grimm die Finger nicht im Spiel


... Und zwar ins 19. Jahrhundert. Die Türme sollen Teil der Verteidigungslinie Dufour gewesen sein, die ab 1853 zwischen Sementina, Monte Carasso, Giubiasco und Camorino errichtet wurde, um die Alpenpässe gegen mögliche Angriffe aus dem Süden zu verteidigen. Erprobt musste die Anlage nie werden, aber die Bauarbeiten ernährten die mehr als 6'000 Tessiner, die von den Österreichern aus der Region Lombardei-Venetien ausgewiesen worden waren. Mit der Schliessung der Grenzen – jedes Jahr waren Tessiner Saisonarbeiter, etwa Marroniverkäufer, in die Lombardei gegangen – widersetzte sich die österreichische Regierung mit Macht gegen die von Seiten der Kantonsregierung und Bevölkerung der Risorgimento-Bewegung entgegengebrachte Sympathie. Denn viele politisch Verbannte hatten im Tessin Gastfreundschaft gefunden. Die Ausweisung der Tessiner erfolgte zu einem kritischen Zeitpunkt; die miserablen Ernten und die Lebensmittelverteuerung hatten der Bevölkerung zugesetzt. Und der Bau der Verteidigungslinie brachte vielen zumindest für einige Monate Arbeit.

Ohne Zauberin und Königssohn die Türme erkunden


Die fünf Türme, die es heute noch gibt, tragen die geheimnisvollen Namen “Ai Scarsitt”, “Ai Munt”, “Ala Pélera”, “Al Sass del Camosc” und “Al Pian di Bur”. Bewundern kann man sie von aussen. Aber nicht nur: Auf Anfrage bei der Vereinigung Fortini della Fame werden in den noch begehbaren, restaurierten Türmen geführte Besichtigungen durchgeführt. Ausserdem sind alle fünf durch einen Lehrpfad verbunden, den dieselbe Vereinigung konzipiert und eingerichtet hat. Die Wanderung führt durch Weinberge und Wald oberhalb von Camorino und kann normalerweise das ganze Jahr gemacht werden. Fünf Kilometer misst der Lehrpfad; zurückzulegen sind dabei 300 Meter Höhendifferenz. In rund zwei Stunden lässt sich der Weg bewältigen. Je nach Fotopausen dauert es natürlich etwas länger. Und Pausen sollte man einplanen. Denn der Ausblick ist auch ohne Rapunzel und den Königssohn zum Teil richtig märchenhaft. So kann man beispielsweise vom höchsten Turm bis zum Lago Maggiore blicken. Der Verkehrsverein schlägt auch eine umfangreichere Wanderung vor, mit Start beim Bahnhof von Giubiasco. Giubiasco ist auch das Ziel dieses rund fünfeinhalb Stunden dauernden Ausflugs (1420 Meter Höhendifferenz, Distanz 12,1 km).
Hier finden sich weitere Informationen zu dieser etwas anspruchsvolleren Wanderung.

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